Wissen schafft Möglichkeiten: Aufbau von Theorie im Segelsport
Langfristiger Leistungsaufbau
Ziel und Aufbau
Die RTK Theorie gibt einen Überblick, wie theoretisches Wissen einen Athleten oder eine Athletin bei seinem*ihrem Weg im Segelsport unterstützen und fördern kann. Ein Wettkampf ist die komplexeste Form des Segelns, da es nicht nur auf strategisches und taktisches Denken unter enormer körperlicher Belastung, sondern auch auf fundiertes Fachwissen ankommt. Es müssen viele Entscheidungen auf dem Wasser im Bruchteil einer Sekunde getroffen werden. Basis für gute Entscheidungen im Renngeschehen ist vielschichtiges Theoriewissen. Die RTK Theorie zeigt, welche Theoriebereiche wichtig für den langfristigen Leistungsaufbau erfolgreicher Athlet*innen sind. Zeitgleich werden Hinweise und Tipps vermittelt, wie in den verschiedenen Altersbereichen theoretisches Wissen altersangemessen gelernt und vermittelt werden kann. Ob man Trainer*in, Athlet*in oder interessierte Bezugsperson bist, spielt dabei keine Rolle. Wissensaufbau ist ein langfristiger Prozess, der Personen das ganze Leben begleitet. Man hört nie auf zu lernen!
Grundlagen
In der RTK Theorie wird Bezug auf den Kursdiamanten und die Revieranalyse genommen. Diese sollten als Grundlage für die Ausbildung von jungen Athleten und Athletinnen herangezogen werden. Es wird sich vor allem auf den Kursdiamanten und die Revieranalyse aus Robert Stanjeks Diplomarbeit von 2011 bezogen. Im Folgenden sind der Kursdiamant und die Revieranalyse als PDF downloadbar.
An dieser Stelle ist ein großes Dankeschön an Herrn Robert Stanjek auszusprechen - zum Einen für seine großartigen Erfolge im Segelsport als Repräsentant Deutschlands und zum Anderen für seinen prägenden Einfluss auf den deutschen Segelsport.
Diplomarbeit Robert Stanjek:
Stanjek, R. (2011). Der Raum strategischen Denkens. Die Strategie bestimmt die Taktik. Ein Vorschlag für die Theorie des Rennsegelsports. (Diplomarbeit, Humboldt - Universität zu Berlin).
Hauptthemen der Theorie
Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über wichtige Theoriethemen des Segelsports gegeben.
Physik des Segelns
- Aero- und Hydrodynamik
In der Aero- und Hydrodynamik lernt man die Zusammenhänge zwischen dem Verhalten des Materials im und über dem Wasser kennen. Ein Segelboot kann mit einem Flugzeug verglichen werden - eine Tragfläche fliegt durch die Luft, das Segel, die andere Tragfläche gleitet durch das Wasser, das Schwert. Jede Tragfläche ist mit unterschiedlichen Umgebungseigenschaften von Wasser und Luft konfrontiert. Das Zusammenspiel zu optimieren, wirft viele Fragen auf: Wie kann man das Material anpassen, dass es optimal für einen ist? Braucht man ein härteres Schwert, wie weich muss der Mast sein, will man das Segel bauchiger oder flacher einstellen und wie spielen die Eigenschaften des Materials zusammen? Nur weil die Disziplin als One-Design bezeichnet wird, heißt es nicht, dass alles gleich ist. Wie erkennt man also die Unterschiede und wie kann man das zum Vorteil nutzen? Diese Fragen können mit guten Theoriekenntnissen beantwortet werden. - Trimm
Das Einstellen des idealen Trimms optimiert die Auftriebsfähigkeit der Segel angepasst an die Wetterverhältnisse. Das kann in beide Richtungen geschehen. Den Auftrieb kann man mit Feineinstellungen reduzieren oder erhöhen. Während eines Rennens können Feineinstellungen jederzeit vorgenommen werden - der Grundtrimm bleibt bestehen. Es muss ein guter Grundtrimm in jedem Rennen gefunden werden. Den Grundtrimm kann man mit Feineinstellungen während des Rennens optimieren. Da jede kleine Veränderung des Trimms multiple Auswirkungen hat, ist es besonders wichtig sich mit dem Zusammenspiel zu beschäftigen. So kann evaluiert werden, ob die vorgenommene Veränderung den gewünschten Effekt auf die Auftriebs- und Fahreigenschaften des Bootes erzielt hat.
Ein Praxisbeispiel verdeutlicht: Zieht man mehr Baumniederholer, reduziert sich die Spannung auf dem Fockdraht. Muss man demnach mehr Spannung auf dem Rigg einstellen oder ist der Effekt vielleicht auch zusätzlich förderlich? Ein Abgleich mit anderen Booten kann schnell Aufschluss geben, ob sich die Bootsgeschwindigkeit zum Positiven verändert hat oder nicht. Im Training können unterschiedliche Messinstrumente durch eine quantitative Analyse Erkenntnisse unterstützen. Aber zu beachten ist: Ohne Verständnis für die Technik und ohne ein formuliertes Ziel für die Messungen, werden die Daten keine aussagekräftigen Informationen liefern.
Meteorologie
- Indikatoren
Die Fähigkeit, sich früh auf neue Wetterbegebenheiten einzustellen und diese anhand von Indikatoren vorherzusehen, erfordert umfangreiches Wissen. Know-how über die Auswirkung von verschiedenen Wolkenformationen, Wolkenarten und Temperaturunterschieden des Wassers und der Luft können dazu beitragen, die Windentwicklung vorherzusagen. Schnell und gut segeln macht immer Spaß. Jede*r wird in seiner Karriere mit der Aussage konfrontiert, dass das nur Glück war. Oftmals haben aber immer die gleichen Athleten und Athletinnen "Glück". Meistens hängt es damit zusammen, dass sie Wetter und Wasser besser lesen können. Wenn man Indikatoren früh erkennt und diese für das Segeln gut interpretiert, wird man öfter "Glück" haben. - Topografie und Strom
Internationale Wettkämpfe finden auf der ganzen Welt statt. Jedes Revier bringt neue Herausforderungen mit sich: Wenn man mit der Tide zu kämpfen hat, sammelt man Informationen über die Tiefe des Meeres und setzt diese in den Zusammenhang mit dem Tidenwechsel. Auch in Revieren, ohne Tidenwechsel, kann der Strom nachhaltig eine Seite bevorteilen.
Gleichzeitig können typische Landformationen, wie Düsen, Inseln oder Kaps einen enormen Einfluss auf das Verhalten des Windes ausüben. Eine optimale Vorbereitung auf den Wettkampf beinhaltet, dass topografische und stromrelevante Aspekte frühzeitig recherchiert werden. - Reviertypische Windmuster
Genauso wie die Topografie des Landes und der Strom können Reviere typisierte Windmuster haben. Diese herauszufinden und zu seinem Vorteil zu nutzen, erfordert theoretische Kenntnisse. Es ist zu beobachten, dass Reviere ähnliche Muster aufweisen oder sich Muster aus verschiedenen Elementen anderer Reviere zusammensetzen. Das macht den Segelsport so attraktiv.
Regeln
- Vorfahrtsregeln
World Sailing veröffentlicht im Rhythmus der olympischen Zyklen eine angepasste Version der World Sailing Rules. Die Richtlinien legen die Basis für ein faires Miteinander. Zeitgleich bedarf es fundierten Regelwissens, um durch taktisch kluge Schachzüge einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz zu erlangen. Durch geschicktes Verwenden der Regeln kommt man in vorteilhafte Positionen, schickt die Konkurrenz auf die schlechtere Seite oder befreit sich aus schwierigen Situationen. Manchmal kommt es zu Zweikämpfen. Wer sich zum Beispiel Videoaufnahmen von Medal Races der Olympischen Spiele angeschaut hat, wird Situationen beobachtet haben, in denen zwei Boote das Rennen ausschließlich gegeneinander bestreiten, weil der Rest von den Punkten her zu weit weg war. Diese Situationen sind spektakulär und zeigen die ausgesprochene Finesse der Athlet*innen im Umgang mit den Regeln. - Protestverfahren
Entsteht ein Regel-Konflikt auf dem Wasser, bei dem die Athleten und Athletinnen auf dem Wasser uneinig bleiben, wird ein Protestverfahren an Land eröffnet. Ein Protest kann sehr überfordernd wirken, wenn man zum ersten Mal im Jury-Raum sitzt: Wie können Athleten und Athletinnen ihr Anliegen anschaulich und verständlich vermitteln, welcher Ton in der Kommunikation angemessen ist und welche Argumente den Standpunkt unterstützen? Finden sich Ungereimtheiten in den Aussagen der Protestgegner*innen? Dürfen Athlet*innen während der Protestverhandlung mitschreiben? Welche weiteren Tipps helfen, erfolgreich aus einem Protest herauszugehen?
All das kann man üben und lernen. Eine weitere Besonderheit im internationalen Geschehen ist, dass Protestverhandlungen auf Englisch stattfinden. Athlet*innen müssen in der Lage sein, eigenständig die Konfliktsituation darzulegen. Dafür ist es notwendig, dass sie ein Grundverständnis segelspezifischer Fachbegriffe sowie Argumentationstechniken in englischer Sprache lernen.
Strategie und Taktik
- Strategischer Plan
Vor jedem Rennen sollten Athleten und Athletinnen sich einen Plan zurechtlegen, wie sie am schnellsten den Kurs absegeln. Sie kombinieren alle Elemente aus dem bisher Gelernten und formulieren daraus eine Strategie. In diesen Plan fließen Windbeobachtungen (oszillierend oder bleibende Drehung), Topografie, die Lage des Kurses, Wellen, Strom, die Lage der Startlinie und beobachtete Windunterschiede ein. Viele Aspekte, die Athleten und Athletinnen berücksichtigen müssen - eine Herausforderung! Man muss viel üben und aus seinen Fehlern lernen, damit der strategische Plan immer besser wird. - Taktischer Plan
Die Taktik beschreibt das Vorhaben, den strategischen Plan in Abhängigkeit zur Konkurrenz umzusetzen. Ein Praxisbeispiel verdeutlicht: Die linke Startseite ist bevorteilt, der strategische Plan sieht vor, auf die rechte Kursseite zu fahren. Athleten und Athletinnen müssen abwägen, wie sie den Startlinienvorteil ausnutzen und zeitgleich an ihrem strategischen Plan festhalten können. Nicht umsonst wird Segeln wie Schach auf dem Wasser beschrieben. Aber merke: Die Grundlage für das Handeln ist und bleibt der strategische Plan. Die Taktik spielt eine unterstützende Rolle, um das Ziel des strategischen Plans zu erreichen. - Risikomanagement
Die Wettkämpfe werden für Athleten und Athletinnen mit zunehmendem Alter länger und anspruchsvoller. Umfasst ein Wettkampf in der Grundausbildung zwei Tage so sehen sich Athleten und Athletinnen mit sechs- bis siebentägigen Wettkämpfen im Hochleistungstraining konfrontiert. Einerseits behalten Athleten und Athletinnen im Blick, wie ihre Position im Gesamtclassement in Relation zu dem angestrebten Ergebnisziel steht. Daraus leiten sie ab, wie viele Plätze sie aufholen müssen oder ob sie nach hinten verteidigen sollten - Verteidigung oder Aufholen ist mit unterschiedlich risikobehafteten Entscheidungen verbunden. Ein Praxisbeispiel verdeutlicht: Ein Segelteam startet in die letzten Rennen der Qualifikationsserie, bevor die Finalgruppen eingeteilt werden. Es wird in zwei Gruppen gesegelt. Durchschnittlich muss das Segelteam Plätze in der ersten Hälfte ersegeln. Mit ihren bisherigen Platzierungen befinden sie sich in der ersten Hälfte. Im aktuellen Rennen sind sie vor der letzten Kreuz solide im vorderen Mittelfeld. Wenig Risiko, Platz verteidigen, Nähe zum Feld halten - so lautet die Devise.
Jede Aktion hat eine gewisse Risikowahrscheinlichkeit. Im Laufe der Karriere lernen Athlet*innen, an welcher Position sie wie viel Risiko eingehen.
Schule
Die Schule stellt für alle Athleten und Athletinnen einen wichtigen und elementaren Part im Leben dar. In der Schule wird Wissen vermittelt und die Athleten und Athletinnen erwerben Qualifikationen für weiterführende Ausbildungswege. Im Durchschnitt werden Kinder mit 6 Jahren eingeschult und bleiben zwölf bis dreizehn Jahre im Schulsystem. In den Etappen des langfristigen Leistungsaufbaus werden beispielhaft Links zu Lehrplänen der Mathematik verlinkt, damit die theoretische Vermittlung von Wissen adäquat an den Wissenstand angepasst werden kann. Es gibt in der Bundesrepublik kein einheitliches Schulgesetz, weswegen die einzelnen Bundesländer über die Schulpolitik selbst entscheiden.
Unter folgendem Link kann man für jedes Bundesland den aktuellen Lehrplan finden: https://www.bildungsserver.de/lehrplaene-400-de.html
Literaturempfehlungen
- Bethwaite, F. (2010). High Performance Sailing: Faster Racing Techniques. (2. Auflage). Thomas Reed Publications
- Philipp, M. (2022). Regattasegeln. Strategie und Taktik. (9. Auflage). Delius Klasing
- Gladstone, B. (2006). Performance Racing Tactics. The world's most comprehensive resource on modern sailboat racing tactics. (6. Auflage). North U
- Walker, S.H. (1986). Winning: The Psychology of Competition. (1. Auflage). W.W. Norton & Company
- Hoghton, D. & Campbell, F. (2005). Wind Strategy. (1. Auflage). Wiley Nautical